Der 9. Juli 2020 war ein schicksalhafter Tag. Nein, an diesem Tag habe ich nicht erfahren, dass ich Vater werde. An diesem Tag haben Steffi und ich beschlossen, „es drauf ankommen“ zu lassen. Easy, dann dauert es noch locker ein paar Monate bis es tatsächlich funktioniert. Andere Paare brauchen schließlich auch ewig, bis so ein Ei mal das Wunder schafft, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein. Pustekuchen. Der positive Test mit den zwei blauen Balken lag schon am 3. August vor meiner Nase, neben einer lachenden und heulenden Steffi.
Inhalt
Information empfangen, Reaktion wird eingeleitet
Ich habe mir immer vorgestellt, dass meine Reaktion auf diese Nachricht so ausfällt wie man es immer in den vor Romantik triefenden Videos auf Facebook sieht. Freudentränen auf beiden Seiten, Engelschöre im Hintergrund, ein Regenbogen am Horizont und selbst der Hund legt voller Empathie seine Schnauze sanft auf ihren Bauch.
Meine wirkliche Reaktion sah so ähnlich aus, bis auf die Sache mit den Freudentränen, den Engelschören, dem Regenbogen und dem empathischen Hund. Da war einfach nur eine Information, die es kaum von einer Synapse zur nächsten geschafft hat. Meinen Gesichtsausdruck hat Steffi mit ihrem Handy festgehalten. Es war der gleiche Blick, mit dem ich in meiner Schulzeit eine Matheklausur ansah. Ratlosigkeit, Verwunderung, Panik und ein bisschen spöttische Resignation über das Ergebnis zeichneten ein Gesicht, das tatsächlich meins war. In meinem Kopf hatte nur ein Gedanke Platz: „Verdammt, warum raste ich denn nicht vor Freude aus? Was stimmt nicht mit mir? Ich werde ein miserabler Vater.“ Um Steffi nicht zu enttäuschen und direkt die erste Hormonkrise zu beschwören, rang ich mir das breiteste Lächeln ab, das ich aufbringen konnte. „Den zweiten Balken hast du aber aufgemalt“, wimmerte ich. Sie lachte. Ich nicht. „Ich glaube, wir sollten einen Arzt aufsuchen,“ kam aus ihrem verheulten Mund. Den Rest des Abends kenne ich nur aus ihrer Erzählung.
Biete ich meinem Kind genug?
Ich wollte immer Vater werden, habe es aber auch immer vor mir her geschoben, weil ich zuerst die berühmten Schäfchen ins Trockene bringen wollte. Ein Haus, ein guter Job, eine Hochzeit: Das alles wollte ich vorher haben, damit mein Kind in eine optimale Umgebung geboren wird. Und jetzt? Jetzt habe ich eine Drei-Zimmer-Wohnung, einen mittelmäßig bezahlten Job und eine Frau, die aber noch nicht meine Ehefrau ist. Soviel zu meiner Bilderbuchvorstellung. Jetzt muss ich unter so ungünstigen Umständen ein Kind großziehen. Habe ich schon erwähnt, ein miserabler Vater zu werden? All das, was ich niemals für mein eigenes Kind wollte, bestimmt jetzt mein Leben und bildet die Grundlage für die kommenden Jahre. Ich bin selbst in einem Haushalt aufgewachsen, in dem das Geld knapp war und in dem jeder Urlaub der reinste Luxus war. Schon damals habe ich mir geschworen, dass ich es anders mache. Ich wollte ein stabiles Umfeld für mein Kind. So stabil, dass ich mir um nichts anderes Sorgen machen muss, als um die Frage, ob mein Kind gesund ist. Jetzt gibt es so viele weitere Dinge, die mir im Kopf umherschwirren. Bin ich überhaupt bereit dafür?
Wie in einem Film
Mein Kind. Klingt immer noch komisch. Ich werde Vater. Noch komischer. Steffi ist schwanger. Absurd. Natürlich sieht man noch nichts an ihr und auch sonst ist sie vollkommen normal für ihre Verhältnisse. Dass in ihrem Bauch nun ein neues kleines Leben heranwächst, das aus ihr und mir entstanden ist, ist ein so abstrakter Gedanke, dass ich ihn gar nicht greifen kann. Es ist, als würde ich einen Film ansehen, in dem ein Mann dabei ist, Vater zu werden. Ich sehe die Szene, nehme sie wahr und irgendwie weckt sie den Wunsch in mir, das auch zu erleben. Aber wirklich betroffen bin ich nicht, denn sowas passiert ja nur anderen und nicht mir. Auch nach fast vier Wochen fühlt es sich noch so an, auch wenn die Vorfreude gerade mit jedem Tag ein wenig wächst.
Das Achterbahn-Szenario
Ich bin absolut kein Freund von Achterbahnen. Rein rational betrachtet weiß ich, dass sie ungefährlich sind, aber ich würde niemals in eine einsteigen, weil ich aus meiner Kindheit noch zu gut weiß, wie furchtbar dieses Gefühl bei der Abfahrt war. Der Magen zieht sich zusammen und wird einem durch die Harnröhre rausgezogen. Noch merkwürdiger ist aber das Gefühl, wenn du in den Wagen einsteigst und sich die Sicherungsbügel senken. Du weißt: Das war’s. Jetzt kann ich nicht mehr aussteigen. Ob ich will oder nicht: Das Ding fährt gleich los und du kannst nichts tun, außer zu schreien und zu hoffen, dass du es überlebst.
Diese Achterbahnfahrt wird aber kein Ende nehmen. Sie fährt los und du bist einfach drin. Was ausbleibt, ist das Gefühl bei der Abfahrt, als würde man deinen Magen durch die Harnröhre rausziehen. Das Kind wird kommen und dieses Mal ist es keine Wunschvorstellung. Es ist kein Videospiel, bei dem du den Endgegner nach einer Niederlage morgen einfach nochmal herausforderst. Es gibt kein Reset, keinen Neustart. Das einzige, was du jetzt tun kannst, ist deine Skills und deine Rüstung schnellstmöglich aufzuleveln und zu beten, dass dies für alle kommenden Herausforderungen reicht. Ob es reicht? Keine Ahnung. Lieber Mitvater, geh einfach davon aus, dass der Text dieser gesamten Seite am 3. August in wenigen Sekunden durch meinen Kopf gerattert ist. Das kann doch nicht normal sein.
Der beste Freund als Retter in der Seelennot
Da eine Schwangerschaft gerade in den ersten acht bis zwölf Wochen noch auf recht wackeligen Beinen steht, soll man die frohe Kunde laut diverser Ratgeber nicht sofort in die Welt hinaus posaunen. Das sagen aber wahrscheinlich auch nur die Menschen, die noch nie in so einer Situation waren. Schon hier kann ich dir, lieber Mitvater, einen ersten Rat geben: Sucht euch einen engen Kreis der Vertrauten, also eure Familie und besonders enge Freunde, denen ihr sofort Bescheid sagt. Denn falls der traurige Fall eintreten sollte, dass die Schwangerschaft nicht über die ersten Wochen hinausgeht, braucht ihr erst recht jemanden zum Reden.
Neben unseren Familien gab es bei mir zwei sehr gute Freunde, denen ich mich sofort anvertrauen musste. Mein bester Freund Nick, den ich mittlerweile seit fast 20 Jahren kenne, wohnt mittlerweile rund 300 Kilometer entfernt. Darum konnte ich ihm nur am Telefon erzählen, dass Steffi und ich ein Kind bekommen. Nick ist vor etwas über einem Jahr selbst Vater geworden. Wenn er schon vorher einer meiner engsten Vertrauten war, war er nun mein Mentor und mein geistiger Wegweiser. Ich erzählte ihm meine hier beschriebenen Gedanken und hab ihn gefragt, ob ich normal bin. Am liebsten hätte er mir ein saftiges High-Five durch den Hörer gegeben. „Mach dir keine Sorgen, mir ging es ganz genauso. Dass in neun Monaten ein Kind kommen sollte, das von mir ist, war zu krass, um es zu begreifen.“ Das beruhigte mich schon mal ein wenig. Er redete weiter: „Wundere dich nicht, wenn es bei der Geburt auch noch so ist. Du hältst einen kleinen Menschen in deinen Armen, den du noch gar nicht kennst. Da hätte man dir auch deinen neuen Bankberater vorstellen können. Selbstverständlich wirst du dich freuen, aber trotzdem müsst ihr euch erstmal kennenlernen.“ Einfach schön, wie Nick es schafft, mich mit nur ein paar Sätzen wieder aufzubauen. Das sind echte Freunde.
Jetzt geht der Spaß erst los
Mittlerweile habe ich mich an den Gedanken gewöhnt, dass ich Vater werde. Trotzdem gibt es immer noch Momente, in denen sich alles wie ein Film anfühlt und nicht wie mein eigenes Leben. Wie gesagt, die Vorfreude wächst jeden Tag ein bisschen, auch wenn die Nervosität genauso steigt. Der Spaß geht jetzt erst richtig los und dabei ist die Achterbahn noch gar nicht losgefahren. Steffi und ich sind schon so im Planungsmodus, dass wir uns regelmäßig daran erinnern müssen, auch mal ruhig zu bleiben und zu genießen, was da auf uns zukommt. Die Zeit für Stress und Hektik kommt noch früh genug. Ein Nickerchen ist jetzt das beste Rezept.
Papa’s Tipp
Nun zu dir, lieber Mitvater: Wenn deine Freundin oder Frau dir gerade gesagt hat, dass sie schwanger ist und du genau so einen tief empfundenen Freudentanz aufführen kannst, wie man ihn oft im Internet sieht, dann ist das sehr schön. Falls nicht, bist du offensichtlich ebenso normal wie jeder andere auch. Klug ist es, dir schon jetzt in aller Ruhe das eine oder andere Thema anzulesen, um auch deinen Drang nach Vorbereitung zu befriedigen. Viele, wirklich sehr viele andere Männer waren bereits in der gleichen Situation wie du. Und auch sie haben es geschafft. Glaube an dich, deine weiblichere Hälfte und daran, dass der Weg, der vor dir liegt, ein schöner ist.
Reine Panik gleich zu Beginn der Schwangerschaft bringt dich an kein Ziel der Welt. Sie hilft weder dir noch der werdenden Mutter und erst recht nicht dem kleinen Menschen in ihrem Bauch. Gönn dir einige Momente, um inne zu halten und dich auf dein Kind zu freuen. Denn fest steht: Ab jetzt wird sich alles ändern. Es liegt nun bei dir, ob du dich auf die schönen Momente freust, oder ob du nur die Schwierigkeiten siehst. Gemeinsam werdet ihr eine Familie sein, die alle Herausforderungen bewältigt. Es sei denn, du denkst „och, da habe ich ja mal so gar keinen Bock drauf, ich gehe.“ Dann bist du doch eher ein Ausnahmefall und sicherlich nicht auf Seiten wie dieser unterwegs.