Couvade-Syndrom: Auch Männer werden schwanger

Dunkles Zimmer mit offener Tür und ein Mittelfinger: Das Couvade-Syndrom
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Lieber Mitvater, du musst jetzt sehr stark sein. Wusstest du, dass auch du gemeinsam mit deiner Frau „schwanger“ sein kannst? Nicht umsonst verbreiten Paare häufig die frohe Kunde „Wir sind schwanger“. Nein, oft ist es leider nicht nur ein lockerer Spruch. Wenn dir auffällt, dass du vor allem in den ersten Wochen der Schwangerschaft deiner Frau unter Stimmungsschwankungen leidest, oft sehr müde bist oder über morgendliche Übelkeit klagst, dann hat dich vielleicht das sogenannte Couvade-Syndrom erwischt.

Während der Schwangerschaft verspüren auch Männer manchmal Symptome, von denen eigentlich ihre schwangeren Frauen berichten. Wissenschaftler nennen dies das Couvade-Syndrom. Rund ein Viertel aller werdenden Väter ist davon betroffen. Als medizinische Diagnose ist es aber bislang nicht anerkannt worden. Auch wo die Ursachen des Couvade-Syndroms liegen, ist aktuell noch nicht ausreichend erforscht. Ich möchte dennoch einmal einen genaueren Blick darauf werfen, denn ich durfte am eigenen Leib erfahren, was es bedeutet.

Was ist das Couvade-Syndrom?

Bei dem Couvade-Syndrom geht es um eine Art Scheinschwangerschaft bei Männern. Dabei erkennen Männer bestimmte Symptome der Schwangerschaft ihrer Frau bei sich selbst. So können unter anderem Gliederschmerzen, Magenschmerzen, Verdauungsprobleme, Schlafstörungen, Übelkeit, Stimmungsschwankungen, starke Müdigkeit, Kurzatmigkeit oder andere Merkmale einer Schwangerschaft auftreten. Sogar eine stärker oder schwächer ausgeprägte Gewichtszunahme ist möglich. Wenn Männer unter dem Couvade-Syndrom leiden, dann meist zu Beginn oder zum Ende der Schwangerschaft. Nach der Geburt verschwinden die Symptome wieder. Nunja, der Bauch vielleicht nicht ganz so schnell.

Das Couvade-Syndrom ist aus der Ethnologie, also der Völkerkunde hergeleitet. Aus dem Französischen übersetzt bedeutet „Couvade“ soviel wie „bemuttern“ oder „hegen“. In manchen Völkern, unter anderem bei verschiedenen Indianerstämmen, gab es Rituale, bei denen der sich werdende Vater gemeinsam mit seiner Frau auf die Geburt einstimmte. Männer in der sogenannten Couvade ahmten verschiedene Symptome der Schwangerschaft ihrer Frau nach und trugen diese offen zur Schau. Sie mussten die anderen Männer nicht einmal zur Jagd begleiten, da diese Rituale als etwas ganz Besonderes angesehen wurden und die Väter so eine stärkere Bindung zu ihren Kindern aufbauen sollten. (Anm.: Als Erzieherin ist Steffi gerade im Beschäftigungsverbot und 9 Monate voll bezahlt zu Hause. So ein Ritual könnte ich jetzt gut gebrauchen, aber das nur nebenbei.) Die forschenden Psychologen haben den Begriff der „Couvade“ für ihre Theorien und eine ordentliche Bezeichnung adaptiert. Für eine „Co-Schwangerschaft“ schickt dein Chef dich sicher nicht nach Hause, für das „Couvade-Syndrom“ schon eher. Versuch es ruhig mal. Und wenn es funktioniert, gib mir Bescheid. Ich ergänze hier gerne eine Erfolgsstory.

Nur weil die Couvade in manchen Kulturen bewusst gelebt wurde, bedeutet das natürlich nicht, dass Männer heutzutage absichtlich depressiv oder gar dick werden. Mal ehrlich: Welcher Mann freut sich denn darüber, in wenigen Monaten einen Riesen-Bauch zu bekommen? Oftmals bringen die betroffenen Männer ihre Symptome nicht einmal mit der Schwangerschaft ihrer Frau in einen konkreten Zusammenhang. Jetzt aber kannst du dich ganz selbstbewusst mit deinem nackten Bierbauch vor deine Frau stellen und sagen: „Das ist deine Schuld!“ Wenn du das dann lebend überstanden hast, freue ich mich auf eine weitere Erfolgsstory von dir.

Ihr Bauch wächst, deiner auch

Besonders häufig kommt es während der Schwangerschaft der Frau vor, dass leider auch der Bauch des Mannes größer wird. Bei einer breiter angelegten Studie hat man 150 Paare am Anfang und am Ende ihres Geburtsvorbereitungskurses gewogen und dabei zumindest ansatzweise Parallelen entdeckt. Die Frauen nahmen in den neun Monaten ihrer Schwangerschaft bis zu 15 Kilogramm zu. Die Männer mussten immerhin noch bis zu vier Kilogramm zusätzlich hinnehmen. Aber woher kommt das? Ganz einfach, denn die Gewichtszunahme kann über zwei Wege funktionieren. Einerseits hat deine schwangere Frau vielleicht mehr Hunger als sonst. Das kann sich auch auf dich übertragen und du isst ebenfalls automatisch mehr. Andererseits kann es auch vorkommen, dass sie erst großen Hunger auf etwas hat, was du kochen oder bestellen darfst. Und plötzlich ist ihr schon der zweite Löffel zu viel. Und bevor du etwas Essbares wegwerfen musst, isst du es doch lieber selbst, oder? Et voila, die Hüfte lässt grüßen.

Couvade-Syndrom: Quo vadis, Hormone?

Bei der Untersuchung des Couvade-Syndroms fanden die Forscher heraus, dass bei Männern mit entsprechenden Symptomen auch veränderte hormonelle Werte nachgewiesen werden konnten. Die Hormone Östrogen und Prolaktin, waren im Blut vorhanden. Zwar in deutlich geringeren Mengen als bei schwangeren Frauen, aber immerhin. Zu den Schwangerschaftshormonen gesellte sich auch das Stresshormon Cortisol, das den gesamten Körper zusätzlich beansprucht und somit ein wenig schneller erschöpfen lässt.

Und als wäre das noch nicht genug, kann bei einem Mann mit Couvace-Syndrom auch noch der Testosteronwert sinken, unser geliebtes Sexualhormon. Dies ist jedoch nicht nur während der Schwangerschaft niedriger, sondern generell auch in langfristigen Beziehungen und bei viel gemeinsam verbrachter Zeit mit dem Kind. Bei alleinstehenden Männern wird der Rückgang von Testosteron hingegen kaum nachgewiesen. Der Mann ist also mehr der Kümmerer als der Jäger und Rammler, ich meine Sammler.

Wodurch wird das Couvade-Syndrom ausgelöst?

Die Wissenschaft geht davon aus, dass durch die hormonellen Veränderungen im Mann die Bindung zum Kind und damit auch Fürsorge- und Schutzinstinkt gestärkt werden sollen. So, wie der männliche Pinguin das Ei ausbrütet, so wird der Mann zum Brutpfleger. Es ist natürlich keine Hilfe, wenn wir uns bei einem Bärenangriff fürsorglich um das Kind klammern, anstatt dem Bären so richtig männlich entgegen zu treten, aber was weiß ich schon? Die meisten Bären, die ich kenne, sind ohnehin sehr entspannte Zeitgenossen. Die Veränderungen im männlichen Hormonhaushalt sind also im Grunde ein evolutionär vorbestimmtes Programm und verursachen bei uns die Symptome, die wir meist von der Schwangerschaft unserer Frauen kennen.

Couvade-Syndrom: Doch alles nur psychosomatisch?

Im Gegenzug zur hormonellen Ursachentheorie gibt es auch jene Forscher, die hinter dem Couvade-Syndrom die Folge der psychischen Beanspruchung des Mannes steckt. Es sollen also einfach nur psychosomatisch auftretende Symptome sein. Die Schwangerschaft bedeutet für den Mann, dass er sich auf erhebliche Veränderungen in seinem Leben vorbereiten muss. Dass bald schon ein kleines Lebewesen in seinen Armen liegt, ist für den Verstand oftmals nicht so leicht zu verarbeiten. Um sich darauf einzustellen, ahmt der Mann scheinbar die Symptome seiner Frau unbewusst nach. Das tritt angeblich vor allem dann auf, wenn es sich um eine besonders innige und von Vertrauen geprägte Partnerschaft handelt. Auch besonders empathische Männer empfinden schneller Freud und Leid der Partnerin als andere. Es gibt auch Ansichten von Psychologen, Männer sähen ihre Rolle in der Elternschaft nicht klar definiert und orientieren sich daher unbewusst an der Mutter. Die Theorie, dass Männer unbewusst neidisch auf die Mutter und ihre neue Rolle sind, beachte ich aber mal nicht weiter. Für meine Begriffe sind wir Väter eh die Coolsten und haben einen geilen Job.

Couvade-Syndrom: So war es bei mir

Nachdem wir unseren Freunden und Familien nach und nach gesagt haben, dass Steffi schwanger ist, hat mich mindestens die Hälfte von ihnen grinsend gefragt: „Na, bist du schon mitschwanger?“ Ich habe nur gelacht und die Frage verneint. Aber auch ich kann mich der Erkenntnis nicht erwehren, dass es wohl so zu sein scheint, woran natürlich allein Steffi schuld ist. Wir gehen ins Restaurant und sie hat tierisch Hunger. Sie bestellt für sich eine Portion Bruscetta und eine Lasagne. Und jetzt rate mal, wer zusätzlich zu seinen Tortellini auch noch ihre Portionen verdrücken musste? Richtig, meine Wenigkeit, die bald nicht mehr ganz so wenig ist.

Eine richtig blöde Kombination ist es natürlich, wenn zur erhöhten Nahrungsaufnahme auch noch Faulheit dazukommt. Bis zu diesem Punkt war ich hochmotiviert und bin rund viermal die Woche ins Fitnessstudio getigert. Damit war es halbwegs vorbei. Denn Steffi war in den ersten acht bis zwölf Wochen der Schwangerschaft praktisch dauermüde und hat ständig geschlafen. Irgendwie hat sich das ab der siebten Woche auch auf mich übertragen. Ich habe es zuerst gar nicht wirklich mitbekommen, aber ich bin morgens immer schlechter aus dem Bett gekommen und war auch tagsüber total abgeschlagen. Abends hätte ich am liebsten nur noch die Augen zu gehabt, aber sobald ich im Bett lag, war es das mit dem Drang zu schlafen. Meine Motivation fürs Training war gleichermaßen im Keller. Ich konnte mich kaum noch aufraffen, ein paar Eisen zu stemmen. Aus viermal pro Woche wurden maximal zwei Trainingseinheiten und auch das nur mit viel Überwindung. Ich schob es zuerst darauf, dass ich zeitweise die Einnahme von Creatin abgesetzt habe. Aber nun ist mir klar, dass es ein empathischer Anflug von Co-Schwangerschaft sein muss. Es würde zumindest einiges erklären.

Meine Stimmung war relativ stabil, aber das ist auch nur meine subjektive Ansicht. Ich hoffe, ich war für meine Kollegen und Steffi nicht allzu gereizt, denn ich kann mich gut erinnern, dass mir schon sehr viele Menschen gewaltig auf den Sack gingen. Das allein wäre kein Unterschied zu der Zeit vor der Schwangerschaft. Einzig meine Reaktionen auf nervtötende Menschen könnten Aufschluss über ein weiteres Symptom geben. Ich werde dazu mal meine Mitmenschen fragen, sofern sie wieder mit mir reden.

Wie kann man das Cauvade-Syndrom behandeln?

Ich falle gleich mal mit der Tür ins Haus: Gar nicht. Denn da das Couvade-Syndrom keine medizinisch anerkannte Diagnose ist, gibt es natürlich auch keine Therapie dafür. Es ist zum jetzigen Zeitpunkt nicht einmal klar, ob überhaupt nach einer Therapie geforscht wird. Im Grunde kannst du einfach nur abwarten und beten, dass der Mist bald aufhört. Die Dame deines Herzens hat von Natur aus eine Entschuldigung für alles. Aber willst du als Mann wirklich die Ausrede gelten lassen, dass du mitschwanger bist? Nicht wirklich, oder? Darum habe ich hier ein paar Tipps für dich:

  • Energydrinks mit Zero Zucker: Gönn dir hin und wieder mal einen am Tag. Ohne den Zucker und zusätzlich zum Kaffee am Morgen bekommst du einen kleinen Energieschub, der dir durch den Tag hilft, ohne dich fett zu machen.
  • Kleinere Portionen kochen bzw. bestellen. Du musst am Ende sowieso die Hälfte vom Essen deiner Frau verputzen. Spare an deiner Portion und du hast die potenzielle Wampe im Griff.
  • Magerquark mit Obst und Zimt zum Frühstück. Das macht lange satt, hat viel Eiweiß und regt dank Zimt den Stoffwechsel an. Und lecker ist es auch.
  • Geh an die frische Luft. Und sei es nur auf den Balkon. Sonne und Sauerstoff sind jetzt wichtig für dich. Für deine Frau zwar auch, aber die schläft sowieso gerade, also genieße den ruhigen Moment. Nachher darfst du sowieso den Keller aufräumen.
  • Beginne den Tag mit etwas, das Spaß macht. Hau dir gute Musik aufs Handy und leg beim Zähneputzen ne kurze Tanzeinlage á la MC Hammer ein. Macht Laune und macht wach.
  • Du fühlst dich gereizt? Lass es raus, aber sag deinem Opfer wenigstens, warum. Ein einfühlsamer Mensch zeigt Verständnis, während er sich sein „Guten Morgen“ sonst wohin steckt.
  • Konzentrationsmangel ist schwierig zu bekämpfen. Nimm ihn zeitweise hin und setz dir kleinere Zieletappen. So kreierst du dir einen neuen Workflow und es bleibt zumindest nicht alles auf der Strecke.
  • Keine Motivation, hm? Du hast es immerhin geschafft, diesen langen Text bis hierhin zu lesen. Gibt es noch irgendeine kleine Aufgabe, die du ohne große Mühe erledigen könntest? Der Frittenkönig ist nur rund 500 Meter weit weg, dein Auto nur 20 Meter. Bei einem Taxiteller lässt sich viel besser planen, welche Aufgabe heute noch machbar ist. Siehste, Papa regelt.

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